Text & Fotos: Oliver Stöhr (10.04.2015)
Eine ungewöhnliche Beobachtung machte die Schülerin Johanna Ragger, als sie frühabends am 8.4.2015 zwischen Lienz und Nussdorf im Bereich Mienekugel unterwegs war: Kaum wenige Meter von einem Fahrweg und von Häusern entfernt stand in der Wiese ein großer schwarzer Vogel mit langem gebogenen Schnabel, den sie bemerkenswerterweise gleich als eine echte Rarität - nämlich als Waldrapp - erkannte.
Sie rief umgehend ihren Vater DI Christian Ragger an, der in der regionalen Szene als Vogelkundler bekannt ist, zur Fundzeit jedoch in Ostösterreich unterwegs war. Von ihm erfolgte sogleich ein Rundruf, bei dem u.a. Dr. Gustav Hofmann, Dr. Dieter Moritz, Annemarie Bachler und Dr. Oliver Stöhr von diesem Nachweis verständigt wurden. Die letztgenannten Personen fanden sich wenige Minuten später an Ort und Stelle ein und konnten den unwechselbaren Vogel neben anderen Schaulustigen antreffen. Einige hatten bereits via Handy Fotos dieses Vogels gemacht, sie kamen dabei bis auf wenige Meter an das nicht scheue Tier heran. Als weitere Passanten achtlos und zu dicht herankamen, flog das Tier auf und setzte sich einer kurzen Flugrunde auf einen nahen Strommast. Dort verweilte er einige Zeit, bis er schließlich gegen Osten in Richtung Nussdorf-Debant abflog.
Der Waldrapp gehört zu den Ibisartigen Vögeln und ist durch seine beachtliche Größe und sein Aussehen eine einzigartige Erscheinung in unserer Tierwelt. Unabhängig davon, ob man den Vogel für schön oder weniger schön halten mag, zählt der Waldrapp inzwischen zu den seltensten und am stärksten gefährdeten Vögeln der Welt! Ursprünglich war er ein Zugvogel, der bis ins 17. Jhdt. auch in Mitteleuropa heimisch war und dort durch Überjagung verschwand. Kaum zu glauben ist auch, dass dieser Vogel früher sogar in den Alpen Österreichs an einigen Stellen als Brutvogel heimisch war. So sind unter anderem Brutnachweise von den Salzburger Stadtbergen wie auch vom Grazer Schlossberg überliefert.
Um dem Vogel ein Zukunftschance zu geben, wurde inzwischen ein umfangreiches Artenschutz- und Wiederansiedelungsprojekt ins Leben gerufen, das auch mit EU-Mittel finanziert wird. Hauptziel des Projektes, das zweifelsfrei Vorzeigecharakter hat, ist die Wiederansiedelung des akut vom Aussterben bedrohten Waldrapps als Zugvogel in Europa. Zudem soll bis 2019 eine Populationsgröße von mindestens 120 Vögeln erreicht werden, um die errechnete Minimalgröße für eine selbstständig überlebensfähige Population zu überschreiten. Projektstandorte sind dabei Brutgebiete in Kuchl und Burghausen sowie ein Wintergebiet in der Toskana, von wo aus das nun in Osttirol gesichtete Individuum stammen dürfte - es dürfte sich wohl am Flug nach Norden befunden haben.
In diesem Zusammenhang darf auch die informative Homepage des Waldrappteams verwiesen werden, wo vertiefende Informationen zum Waldrapp selbst und zu diesem Projekt abgerufen werden können.
Portrait des Waldrapps im Bereich Mienekugel bei Lienz. Ganz deutlich ist an den Füßen eine Beringung und die Nummer 020 erkennbar.
Metallisch schimmerndes dunkles Gefieder, langer gebogener Schnabel und federloser Kopf machen den Waldrapp unwechselbar.
Nachdem ihm der "Trubel" der Passanten und Fotografen zuviel wurde, flog der Waldrapp auf und ließ sich einer sicheren Stelle auf einem Strommast nieder. Ob ihn der Bussard oberhalb erspäht hat?