Text & Fotos: Oliver Stöhr (29.09.2019)

Wie in verschiedenen Tiroler Medien berichtet, wurde vor kurzem eine Grünlandfläche am sogenannten Wasserrain bei Lienz via Ansaatmischung zu einem „Bienen-Lebensraum“ entwickelt. Zu diesem Projekt erlaubt sich die Naturkundliche Arbeitsgemeinschaft Osttirol (NAGO) nachfolgend einige fachliche Anmerkungen anzuführen, um einen Beitrag zur Aufklärung und Bewusstseinsbildung in der Bevölkerung zu leisten. Die Stellungnahme der NAGO ist bereits jetzt erforderlich, da offenbar weitere Ansaatflächen in Lienz für Bienen geplant sind.

Zunächst zur aktuellen Pflanzengarnitur der „Bienenwiese“ am Wasserrain, die nach Abschieben des Oberbodens und Aufbringung einer Ansaatmischung sich mit rd. 70 Arten derzeit durchaus artenreich darstellt, wie eine botanische Aufnahme durch O. Stöhr am 22.9.2019 ergab. Analysiert man aber die Artengarnitur im Detail, so zeigt sich, dass nur rd. 15 Pflanzenarten aus der Ansaatmischung selbst stammen dürften. Neun Pflanzenarten dominieren den Bestand, davon sind fünf Arten in Osttirol heimisch (Färber-Kamille, Schwarzer Nachtschatten, Wiesen-Klee, Weißer Gänsefuß, Steinklee) und drei Arten Neophyten (Echter Buchweizen, Echte Ringelblume, Grünähriger Amaranth). Eine weitere, nämlich die Kornblume, ist zwar ein bekanntes alteinheimisches Getreideunkraut, aber die hier verwendeten, in der Blütenfarbe abweichenden Zucht-Formen sind als gebietsfremd zu beurteilen. Die genannten Neophyten und die Kornblume stammen dabei unzweifelhaft aus der Ansaatmischung. Darüber hinaus sind weitere 14 Arten als Neophyten einzustufen, sodass der Anteil gebietsfremder Arten 25 % beträgt. Somit wurden durch die Projektumsetzung im beträchtlichen Ausmaß Neophyten aktiv wie passiv gefördert, während man gefährdete heimische Arten im Pflanzenbestand bis dato vermisst.

Bienenwiesn
Foto: Ansaatfläche am Lienzer Wasserrain (Aufnahme vom 22.9.2019). Der Pflanzenbestand wird von Arten der Ruderalfluren, einjährigen Pflanzen und Neophyten dominiert und erinnert eher an einen Hackfruchtacker. Mit unseren echten, ausdauernden Blumenwiesen hat dies nicht viel zu tun.

Relevant, weil in Österreich oder in anderen Ländern Mitteleuropas als „invasiv“ (problematisch) eingestuft, sind zudem Ausbreitungstendenzen der gebietsfremden Arten Robinie und Essigbaum, die vom Rand her ausgehend von gepflanzten Altbäumen in die Ansaatfläche eindringen. Auch das Aufkommen des aus dem Himalaya stammenden Drüsigen Springkrautes – einer inzwischen per EU-Richtlinie als invasiv eingestuften Art, für die auch Österreich Maßnahmen setzen muss – ist ausgehend vom Ufergehölz der Isel durchaus wahrscheinlich. Die Qualität des derzeitigen Pflanzenbestandes ist aus botanischer Sicht damit insgesamt nicht nur als gering, sondern sogar als bedenklich einzustufen.

Robinie
Foto: Aufkommen junger Robinien in der Ansaatfläche. Die aus Nordamerika stammende Robinie gilt als invasiver Neophyt in Österreich und ist aufgrund ihrer starken Ausbreitung und ihrer Fähigkeit zur Aufdüngung des Bodens ökologisch bedenklich.  

Zu betonen ist auch, dass in Abhängigkeit von der künftigen Pflege der Fläche die Pflanzenartenvielfalt als solche zurückgehen wird. Denn im jetzigen Bestand sind immerhin 34 Arten enthalten, die ein- bis zweijährig sind: Gerade die derzeit aspektprägenden, im Hochsommer blühenden und aus der Saatmischung stammenden Arten Kornblume, Ringelblume und Buchweizen werden in den kommenden Jahren mit fortschreitender Sukzession hier stark zurückgehen oder überhaupt ausfallen, wenn nicht entsprechende Maßnahmen wie erneute Ansaat, Öffnung der Grasnarbe oder dergl. gesetzt werden. Solche Maßnahmen können an diesem Standort aber wiederum Neophyten fördern, sodass ökologisch eine Art Zwickmühle gegeben ist, aus der man nur schwer herauskommt.

Ringelblume

Kornblume
Foto: Die in der Ansaatmischung enthaltenen Ringelblumen (oben) und Zuchtformen der Kornblume (unten) sind als gebietsfremd zu bezeichnen.

 Buchweizen
Foto: Auch der angesäte einjährige Buchweizen ist keine heimische Art.

Zusätzlich zu diesen Punkten ist zu dem in den Medienbeiträgen verwendeten Begriff „Blumenwiese“ klarzustellen, dass der oben beschriebene Pflanzenbestand nichts mit unseren echten, d.h. traditionell bewirtschafteten Blumenwiesen im herkömmlichen Sinn zu tun hat. Eine klare begriffliche Trennung zwischen solchen, durch kurzlebige und gebietsfremde Arten geprägten Ansaatflächen und den durch meist ausdauernde heimische Arten charakterisierten Blumenwiesen ist wichtig, um Missverständnissen vorzubeugen: Letztgenannten Wiesen, die in den letzten Jahrzenten durch Strukturänderungen und Intensivierungen in der Landwirtschaft stark dezimiert wurden, ist ökologisch wie naturschutzfachlich klar der Vorzug zu geben. Gerade unter dem Aspekt des Biodiversitätsschwundes ist es von hoher Relevanz, die letzten, noch vorhandenen artenreichen Wiesen mit ihren heimischen Arten nicht nur zu erhalten, sondern ihnen auch wieder mehr Raum zu geben. Insbesondere die in Osttirol noch dort und da vorhandenen bunt blühenden Magerwiesen mit Wiesen-Salbei, Margerite, Pechnelke & Co. beherbergen zahlreiche gefährdete Tier- und Pflanzenarten und sind auch für Bienen bzw. generell für Bestäuber wertvolle Lebensräume. Im Falle der Planung weiterer Blühflächen in Lienz bzw. Osttirol ist daher die Anlage solcher Wiesen zu präferieren, zumal deren Herstellung durch Saatgutübertragung aus regionalen Spenderflächen (z.B. Heudrusch, Heublumen- oder Heumulchsaat) möglich ist. Nur so bleiben die floristische Identität der Region und deren Vielfalt erhalten und Florenverfälschungen ausgeschlossen!

 Salbeiwiesen
Foto: Ausschnitt aus einer echten, ökologisch wertvollen Blumenwiese mit Wiesen-Salbei, Margerite und anderen ausdauernden heimischen Pflanzenarten – ein Dorado auch für Bienen und andere Bestäuber.   

Der Zweck der Blühfläche am Wasserrain liegt laut der dort aufgestellten Infotafel in der Förderung der Bienen sowie anderer blütenbestäubender Insekten während des Sommers. Ob und in welcher Weise andere Bestäuber wie Schmetterlinge oder Wildbienen von solchen Ansaatflächen profitieren können, ist für NAGO aber fraglich. 

Fazit: Das an sich sicherlich gut gemeinte Vorhaben der Anlage von „Bienenwies`n“ mit dieser Ansaatmischung ist für die NAGO keine nachhaltige, gesamtheitliche Ökomaßnahme. Vor dem Hintergrund des allgemeinen Biodiversitätsschwundes, der auch vor Osttirol nicht Halt macht, sind neben dem Erhalt extensiver Wiesentypen Maßnahmen wie die Reduktion der Nutzungsintensität im Grünland oder die Anlage artenreicher Blumenwiesen mit Saatgut aus regionalen, echten Blumenwiesen wichtiger. Die NAGO steht mit ihrer Fachexpertise diesbezüglich gerne beratend zur Verfügung (Anfragen an Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!).

Mag. Dr. Oliver Stöhr ist Sprecher der NAGO, Ökologe und langjähriger Kenner der Fauna und Flora Osttirols; zahlreiche Publikationen in nationalen und internationalen Fachzeitschriften zur Tier- und Pflanzenwelt sowie zu Naturschutzthemen.